Jacques Jordaens: der Kreuztod (Geheimnisse des Rosenkranzes)
Konventionen, Traditionen: Sie überdauern Jahrhunderte und bieten visuelle Anerkennung und Orientierung. Und doch finden Künstler immer wieder neue Ausdrucksmöglichkeiten, die wiederum neue Linien vorgeben. Hier werden wir Zeugen einer Entwicklung in der Kunstgeschichte und sehen wir, wie die junge Schüler wie Rubens, Van Dyck und Jordaens einst waren, aus dem Schatten ihrer Lehrer treten.
‚Christus am Kreuz‘, eines der zentralen Themen des christlichen Glaubens, wurde in der religiösen Kunst unzählige Male dargestellt.
Getreu der Evangelien, stehen Maria und Johannes unter dem Kreuz. Jesus vertraut in seinen letzten Momenten seine Mutter dem geliebten Jünger an. Anders als in der mittelalterlichen Ikonographie, in der Maria stets zur Rechten und Johannes zur Linken Christi steht (vom Kreuz ausgesehen), zeigen barocke Maler beide Figuren zur Rechten Jesu. Diese bewusste Abweichung unterstreicht eine neue Deutung: Maria wird nicht nur Johannes anvertraut – sie nimmt ihn als ihr eigenes Kind an. Doch die Bitte Jesu richtet sich weiter: alle Gläubigen sollen Maria als Ihre Mutter erkennen.
Ein genauer Blick auf das Bild offenbart: der Maler – damals Mitte zwanzig – verfolgt bereits das Ziel, die emotionalen Regungen jeder einzelnen Figur einzufangen. Doch seine Umsetzung wirkt noch ein wenig unbeholfen, tastend.
Maria blickt auf ihren toten Sohn und hebt mit der rechten Hand leicht den Schleier – der Saum wirft einen Schatten auf ihre Stirn. Ihre linke Hand liegt auf der Brust – vielleicht über dem pochenden Mutterherz. Johannes schaut ebenfalls auf Jesus und hat die Hände zum Gebet gefaltet – oder vielleicht, um sich selbst Halt zu geben.
Zwei trauernde Frauen haben ihre Köpfe abgewandt; ihre Hände sind sprechende Zeichen der Trauer. Maria Magdalena, die treueste Anhängerin Christi, traditionell mit der reuigen Sünderin gleichgesetzt, lässt ihr Haar offen über die nackte Schulter fallen – ein klarer Bruch mit den Kleidervorschriften verheirateter Frauen. Im Hintergrund steht Maria Kleopas, die Halbschwester der Gottesmutter, ganz in ihrem Schatten.
Ein schwacher Schimmer der sich zu Ende neigenden Sonnenfinsternis, verleiht der Szene atmosphärische Tiefe. Das physische Licht fällt von oben ein – sichtbar etwa an Marias Kopftuch. Doch das wahre, innere Licht scheint von der Gestalt Jesu auszugehen und erleuchtet alle Anwesenden.
Über dem Gekreuzigten flattert der Text des Todesurteils im Wind – ganz so, wie Rubens ihn in seiner Kreuzaufrichtung dargestellt hat. Solche kunsthistorischen Zitate tragen dazu bei, neue ikonografische Konventionen zu etablieren.
Folgen Sie weiter nach Ende der Reihe der Geheimnisse des Rosenkranzes, in der Mariakapelle.